Ernährung und Hauswirtschaft zusammen können 50 Prozent an Ressourcen einsparen

Dorothea Simpfendörfer kennt die Situation von Pflege und Hauswirtschaft sehr gut. Das zeigen nicht allein ihre vielen veröffentlichten Fachbücher, sondern auch ihr Engagement für den und im Deutschen Hauswirtschaftsrat e.V. Im Interview mit Hygienewaschen.de berichtet Dorothea Simpfendörfer, die bisherige Präsidentin des Hauswirtschaftsrats, die am 18. November in die zweite Reihe rückte, von den Zielen des Rats und auch vom ersten Hauswirtschaftskongress im September 2019, der unter dem Motto stand „Wandel nachhaltig gestalten. Agenda 2030: für uns – mit uns“.

Der Hauswirtschaftsrat wurde 2016 gegründet. Gibt es einen Auslöser dafür?

Es gibt in Deutschland viele Verbände und Organisationen, die hauswirtschaftliche Themen auf ihrer Agenda haben. Wenn jedoch jede und jeder in Berlin in den Ministerien vorstellig wird und Veränderungen fordert oder anregt, ist das nicht wirklich zielführend – weder für die politischen Ansprechpartner noch für den einzelnen Verband. Diese Verzettelung ist unter anderem ein Grund dafür, dass die Hauswirtschaft bisher noch nicht die Aufmerksamkeit hat, die angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung notwendig wäre. Das heißt, es war Zeit, mit einer Stimme zu sprechen. Gemeinsam können wir das innovative Potenzial der Hauswirtschaft und der Haushaltswissenschaften nutzen.

Welche Themen in der Hauswirtschaft liegen derzeit in der Luft?

Es gibt so viele Themen, bei denen Hauswirtschaft mitreden muss: Im Bereich der Altenpflege, der haushaltsnahen Dienstleistungen, der Neuordnung der Berufsausbildung zur Hauswirtschafter*in etc. Was vielen unter den Nägeln brennt, ist die ungleiche Bezahlung der hauswirtschaftlichen Fachkräfte. Diese hängt unmittelbar vom Träger der Einrichtung ab. Darin liegt eine wesentliche Ursache für die mangelnde Anerkennung der Hauswirtschaft. Aber es sind Hauswirtschaftliche Betriebsleiterinnen, und Fachkräfte, die gerade in Altenheimen einen wichtigen Part für das Wohlbefinden der Menschen übernehmen – gemeinsam mit der Pflege.

Sie fordern in Bezug auf Wohngruppen, dass die hauswirtschaftlichen Mitarbeiter*innen über eine hauswirtschaftliche Ausbildung verfügen. Warum?

Bei allen dispositiven Aufgaben ist es wichtig, dass man eine gute professionelle Ausbildung hat. Das spielt auch eine Rolle bei der Anleitung von Bewohnern, etwa beim gemeinsamen Kochen. Denn im Rahmen der Arbeit mit Senioren – jedoch beispielsweise auch in Kindertagesstätten – gibt es viele hygienisch heikle Punkte, bei denen eine Arbeitskraft Fachkenntnisse braucht, um alles richtig zu machen. Es ist das Anliegen des Hauswirtschaftsrats, dass die hauswirtschaftlichen Mitarbeiter*innen für diese Aufgaben gut qualifiziert werden.

Vor einigen Jahrzehnten hatte die Hauswirtschaft und auch die Hygiene – heute ein wichtiges Themengebiet der Hauswirtschaft – kaum Aufmerksamkeit erregt. Warum ist es notwendig geworden, sich heute öffentlich für die Hauswirtschaft zu positionieren?

Hauswirtschaft war schon immer sehr wichtig. Doch durch die Zunahme der stationären Pflege in Alten- und Pflegeheimen rückt auch sie immer mehr in den Mittelpunkt. Im gleichen Maße stieg die Nachfrage nach einer guten hauswirtschaftlichen Betreuung im ambulanten Bereich. Hilfen in der Haushaltsführung in der eigenen Häuslichkeit wirken präventiv. Sie verzögern häufig den Umzug in eine Pflegeinrichtung. Dazu muss die Hauswirtschaft laut Stellung beziehen. Bei der konzertierten Aktion Pflege ist z.B. unser Engagement sehr gefragt. Wenn es darum geht, die Pflegekräfte bei ihren Tätigkeiten zu entlasten, stellt sich als erstes die Frage: Welche Aufgaben zur Pflege im engeren Sinne gehören und welche die Pflege ergänzen? Die ergänzenden Aufgaben können auch andere Professionen erledigen. Hier sollten Fachkräfte aus der Hauswirtschaft zum Einsatz kommen.  Ähnlich ist es bei der ambulanten Unterstützung. In beiden Bereichen werden hauswirtschaftliche Fachkräfte benötigt, die auch im Hinblick auf Hygiene gut geschult sind.

Und warum brauchen die Menschen, die in der Hauswirtschaft arbeiten eine Lobby?

Das Bewusstsein, dass hauswirtschaftliche Fachkräfte für das Wohlergehen der Bevölkerung in verschiedenen Lebenssituationen sorgen, und welche Bedeutung das für die Gesellschaft und Wirtschaft hat, haben nur Wenige. Die Lebensqualität etwa in einem Seniorenheim setzt zusätzlich zu einer ausgezeichneten Pflege eine gute hauswirtschaftliche Versorgung voraus. Hauswirtschaft ist das Aushängeschild einer Einrichtung.  Es geht um eine gleichberechtigte Zusammenarbeit von Pflege und Hauswirtschaft in multifunktionellen Teams. Daher fordert der Hauswirtschaftsrat endlich Personalschlüssel sowie Fachkraftquoten für die Hauswirtschaft, ähnlich wie es sie bei der Pflege bereits gibt. Das heißt, auf eine bestimmte Anzahl von Bewohner*innen in der Einrichtung sollte eine bestimmte Zahl an Hauswirtschaftsfachkräften kommen. Eine solche grundlegende Diskussionen kann nur von einer Lobbyorganisation wie der unseren vorbereitet und vertreten werden.

Im September dieses Jahres hielt der Hauswirtschaftsrat seinen ersten Kongress ab. Was für einen Eindruck hat er bei Ihnen hinterlassen?

Der Kongress war in jeder Hinsicht überwältigend. Zum einen kamen viel mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer als erwartet – nicht nur aus unseren Mitgliedsverbänden. Das spricht für die Breitenwirkung unseres Themas. Auch Aussteller und Sponsoren berichteten von einem breiten Echo und Interesse. Mit unserem Thema ‚Agenda 2030 den Wandel nachhaltig gestalten‘ haben wir genau ins Schwarze getroffen. Nachhaltige Entwicklung, sorgsamer Umgang mit der Umwelt, unsere Welt „enkeltauglich“ zu machen, ist vielen unserer Mitglieder ein dringliches Anliegen.

Beate Imhof-Gildein, Geschäftsführerin, Berufsverband Hauswirtschaft, Dr. Marianne Dehne, Diakonie Deutschland, Dorothea Simpfendörfer, Hauswirtschaftsrat und Steffen Lemke, AWO Bundesverband (von links nach rechts). Quelle: privat
Sie haben auf dem Kongress eine Umfrage zum sorgsamen Umgang mit der Umwelt durchgeführt, mit welchen Hauptergebnissen?

Die Umfrage ergab, dass bereits an vielen Punkten in den Betrieben die Schonung von Ressourcen überlegt und teilweise umgesetzt wird. Das fängt bei umweltfreundlichen Reinigungsmitteln an und endet bei Speiseplänen mit kleineren Fleischportionen. Als Hürden für umweltgerechtes Handeln wurden sehr oft finanzielle Beschränkungen genannt. Das macht explizit folgende Antwort deutlich: ‚Vorgabe der institutionellen Gewinnorientierung zu Lasten der Nachhaltigkeit!‘ Viele Seniorenheime und andere Gemeinschaftseinrichtungen scheinen unter hohem wirtschaftlichen Druck zu stehen, bestimmte Gewinnmargen zu erreichen. Gerade bei der Beschaffung liegt noch einiges im Argen: Die Großhändler sind oft gar nicht darauf eingestellt, regionale Produkte zu liefern. Zugleich fehlt auch bei den Tischgästen und Bewohnern oft das Wissen und die Bereitschaft – gerade beim Speiseplan – sich klimabewusster zu verhalten oder anzupassen. (Link auf Fragebogen-Auswertung).

Es gibt auch sehr positive Beispiele aus den Einrichtungen…

Ja, es gibt Leuchtturmprojekte wie etwa das der AWO, die schon vor einiger Zeit den CO2-Fußabdruck auf ihre Agenda setzte und ihre Einrichtungen auffordert, bei der Kampagne mitzumachen, um den CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Das Meinwerk Institut in Paderborn bietet Lehrgänge zur Schulung von Multiplikatoren für ökologisches Hauswirtschaften in Großhaushalten an. Auch die Diakonie Deutschland hat Empfehlungen für nachhaltige Beschaffung an ihre Mitglieder herausgegeben. Diese Initiativen bekannt zu machen und die Kolleg*innen zu bestärken dafür war der Kongress ein tolles Podium.

Was kann die Hauswirtschaft zum Klimaschutz bzw. zu den 17 Nachhaltigkeitszielen beitragen?

Aus den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNO hatten wir vier für unseren Kongress ausgewählt und daran auch die Workshops ausgerichtet. Beim Ziel Nummer 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ spielt auch die Hygiene eine große Rolle; jedoch auch die hauswirtschaftliche Betreuung hat viele Möglichkeiten, nachhaltig zu handeln. Das Ziel Nummer 12 „Nachhaltiger Konsum und Produktion“ zielt auf den Klimaschutz. Das berührt die Frage, wie hauswirtschaftliche Prozesse zu gestalten sind, um Ressourcen einzusparen. Dabei kommt uns natürlich entgegen, wenn Hersteller von Geräten aus der Wäschereitechnik, Reinigung oder Küche bereits bei der Entwicklung der Geräte darauf schauen, dass z.B. der Strom- und Wasserverbrauch reduziert wird. Auch Dosierhilfen kommt hier eine große Bedeutung zu. An diesem Punkt spart man ja nicht nur Ressourcen, sondern auch Kosten! Und wie vorhin schon angesprochen, ist der Bereich der Beschaffung ein Bereich, in dem viel (oder wenig) für Ressourcenschonung getan werden kann. Die Hauswirtschaft hätte hier große Einflussmöglichkeiten – rein rechtlich gesehen. Denn es gibt ein nationales Regelwerk für die nachhaltige Beschaffung für die öffentliche Hand, die beispielsweise festlegt, wieviel Prozent an nachhaltigen Produkten eingekauft werden sollen. Doch das wird häufig noch nicht von den Finanzverantwortlichen beachtet, wie die Umfrage ergab.

War es den Teilnehmern des Kongresses bzw. ist es den Mitarbeitern in den Einrichtungen bewusst, dass es solche nationalen Vorgaben für nachhaltige Entwicklung gibt?

Möglicherweise kennen viele ihre Rechte zu wenig. Das wollen wir jetzt im Hauswirtschaftsrat thematisieren. Die hauswirtschaftlichen Fachkräfte sollten in Zukunft solche wichtigen Informationen bei uns auf der Website finden können. Übrigens trifft dies nicht allein beim Umweltschutz zu. Das Nachhaltigkeitsziel „Geschlechtergleichheit“, das ebenfalls auf unserem Tagungsprogramm stand, hat für uns ebenfalls große Bedeutung. Insgesamt gilt es, das Lohn- und Gehaltsniveau der hauswirtschaftlichen Fachkräfte zu heben, weil wir nur so für genügend gut ausgebildeten Nachwuchs sorgen können und auch der Altersarmut bei Frauen vorbeugen.

Und für welche Punkte des Nachhaltigkeitskanons ist die Hauswirtschaft prädestiniert?

Hier geben die Modellprojekte zur Nachhaltigkeit Auskunft. Das AWO-Projekt hat zum Beispiel ergeben, dass 50 Prozent der Einsparpotenziale bei Ernährung und Hauswirtschaft liegen. Ein Ausgangspunkt dafür war bei einem Projekt die Analyse der Essensreste auf den Tellern der Bewohner. Daraus zogen die Kolleginnen dann ihre Schlüsse, dass es sich lohnt hier genauer hinzuschauen. Das heißt zugleich, dass viele Prozesse und Verhaltensweisen auf den Prüfstand kommen sollten, um neue Abläufe zu entwickeln.

Und was sind die nächsten wichtigsten Ziele des Hauswirtschaftsrats?

Wir werden die Kontakte zu Ministerien und anderen Dachverbänden und gesellschaftlich relevanten Organisationen noch weiter ausbauen. Wir sind an weiteren Mitgliedern interessiert, um uns noch besser aufzustellen und die fachliche Arbeit in den Sektionen zu verstärken. 2020 werden wir entsprechend den Vereinbarungen der Konzertierten Aktion Pflege an einem Workshop mitarbeiten, der Vorschläge entwickelt, wie eine Entlastung der beruflich Pflegenden durch stärkere Einbindung von hauswirtschaftlichen Fachkräften ermöglicht wird. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages endlich umgesetzt werden und die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen gefördert wird.

 

Forderungen des Hauswirtschaftskongresses

  • Flächendeckende hauswirtschaftliche Allgemeinbildung in allen Kindertagesstätten und Schulen zur Vermittlung von Alltags- und Haushaltsführungskompetenzen.
  • Schaffen von Anreizen und fördernden Rahmenbedingungen für nachhaltige Produktions- und Konsumweisen in Privathaushalten und Dienstleistungsbetrieben.
  • Förderungen der Legalisierung des Arbeitsmarktes für haushaltsnahe Dienstleistungen.
  • Schaffung von Arbeitsplätzen mit gerechten Löhnen für in der Hauswirtschaft Tätige und Förderung der Mitarbeiterqualifizierung.
  • Verankerung von Fachkraftanforderungen in den rechtlichen Rahmenbedingungen von Kindertagesstätten, Schulmensen, sozialen Einrichtungen und Diensten der Altenpflege, Behindertenhilfe und Krankenhäusern.

 

Die gesamte Erklärung kann über folgenden Link heruntergeladen werden:
https://www.hauswirtschaftsrat.de/hauswirtschaftskongress/medien