Gaby Maile hat die Gesamthauswirtschaftsleitung in der Stiftung Karlshöhe Ludwigsburg inne – einer diakonischen Traditionseinrichtung, die viele soziale Bereiche vereinigt. Auf der Karlshöhe werden Kinder und Jugendliche, Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen, Menschen mit psychischen und sozialen Schwierigkeiten und alte, pflegebedürftige Personen im Wohnen, Arbeiten, Leben und Lernen unterstützt.
Als Schülerin hatte Gaby Maile in Bethel ein Praktikum absolviert und Feuer gefangen. Ihren traditionellen Werdegang zur hauswirtschaftlichen Betriebsleitung an der Luise Haarer-Schule in Stuttgart will sie nicht missen. Ihr Motto angesichts von Corona und den hohen Ansprüchen einer großen sozialen Einrichtung: Gemeinsam überlegen und Handeln!
Frage: Welche besonderen Herausforderungen mussten Sie als Gesamthauswirtschaftsleiterin zu Beginn der Corona-Pandemie meistern?
Gaby Maile: Am Anfang war die Gesellschaft überfordert – und natürlich auch wir. Niemand wusste, was auf uns zukommt. Es gab hunderte von Informationen, die wir sortieren mussten: Um was für ein Virus handelt es sich, welche Symptome löst es aus, wie ansteckend ist es, wie schützen wir Mitarbeiter und Bewohner? Die Beschäftigung mit der völlig neuartigen Situation hat uns viel Zeit gekostet.
Doch auf der Karlshöhe hatten wir einen Vorteil: Bis auf die Masken – von denen es tatsächlich nur zwei Kartons gab – bot unser zentrales Lager alle Schutzutensilien, die wir brauchten, beispielsweise auch die persönlichen Schutzanzüge. Als der Preis der Masken in die Höhe schoss und praktisch keine mehr auf dem Markt ergattert werden konnten, kam es uns sehr gelegen, dass die Karlshöhe noch über ein traditionelles Nähzimmer verfügt. Nachdem uns eine Ärztin beraten hatte, welche Dichtigkeit und Viskosität der Maskenstoff haben sollte, nähten unsere zehn Auszubildenden und weitere Mitarbeitende zwei Wochen lang Masken. Wir haben uns von jetzt auf nachher auf die neuen Gegebenheiten eingestellt. Handeln war angesagt – und wir haben gehandelt!
Frage: Das Virus war ganz unbekannt – woran haben Sie sich orientiert?
Gaby Maile: Wie überall, hatte sich am Anfang zuerst eine gewisse Verunsicherung breit gemacht. Wichtig war es deshalb, mit allen Mitarbeitern zu reden und Orientierung zu geben – dazu gehörten auch die Bewohner und ihre Angehörige.
Unter hygienischen Gesichtspunkten ist die Karlshöhe sehr gut aufgestellt. Vor rund 15 Jahren hatten wir bereits verschiedene Handlungsleitlinien für Infektionskrankheiten entwickelt und in der Organisation verankert. Tritt irgendwann einmal der Verdacht auf den Krankenhauskeim MRSA auf oder zeigen sich die Anzeichen des Norovirus, aktivieren wir den entsprechenden Leitfaden und handeln danach.
Natürlich hatten wir bisher keine Corona-Handlungsleitlinie abgelegt. Doch es war nicht schwierig, auf Basis eines vorliegenden Plans einen Corona-Leitfaden zu entwickeln, der dann Woche für Woche aktualisiert und ergänzt wurde. Im gleichen Zuge hatten wir die Zusammenarbeit im Arbeitskreis aller Hauswirtschaftsleiterinnen aus den jeweiligen Einrichtungen intensiviert. In Akut-Situationen trafen wir uns täglich, um den vielschichtigen Bedarfen, die aus der Pandemie entstanden, hauswirtschaftlich gerecht zu werden. Wir besprachen uns übergreifend und verankerten anschließend die beschlossenen Maßnahmen dezentral.
Frage: Wie hat sich der Alltag in den Einrichtungen verändert, bzw. wie handhabten Sie einen Ausbruch?
Gaby Maile: Da die Karlshöhe eine Einrichtung mit sehr unterschiedlichen Bereichen ist, reagierten wir auch sehr differenziert auf die Corona-Pandemie. In einigen Wohnbereichen ließen sich die Quarantäne-Maßnahmen einfacher durchführen, beispielsweise im Bereich der Menschen mit besonderen psychischen und sozialen Schwierigkeiten: dort wohnen die Menschen in eigenen Apartments mit Dusche und Küche. Schwieriger war es hingegen zum Beispiel in der Kinder- und Jugendhilfe, die in Wohngruppen organisiert sind. Täglich muss die Gesamteinrichtung mit Mahlzeiten versorgt werden, und zwar quer durch alle Arbeitsbereiche. Das bedeutete einerseits ein durchdachtes Konzept der Essenanlieferung und andererseits die Einhaltung der AHA+L-Regeln im Speisesaal der Karlshöhe. Dabei wirkte sich die Essensausgabe in Schichten positiv aus, die verhinderte, dass alle gleichzeitig zum Mittagessen strömten.
Frage: Welche Rolle spielt das Testen?
Gaby Maile: Seit es Antigentests gibt, konnten wir den Schutz wesentlich verstärken. Die Viren kommen ja von außen in die Einrichtung und wenn Virenträger vorher durch Antigentests abgefangen werden können, hilft das allen. Waren die Schnelltests positiv, wurden sie grundsätzlich durch nachfolgende PCR-Tests abgesichert.
In den einzelnen Wohngruppen der Altenhilfe der Karlshöhe werden je 15 Menschen betreut. Treten irgendwo Corona-ähnliche Symptome auf, ist sofort unser Hausarzt zur Stelle. Die ganze Gruppe kommt in Quarantäne, bis ein PCR-Test Klarheit bringt. Wir konnten die erste und zweite Welle auf der Karlshöhe ohne Infektion abwehren, mussten jedoch erleben, dass – trotz erfolgter Erstimpfung – ein Ausbruch im Bereich der Menschen mit geistiger Behinderung stattfand. Wir haben dazu auf unserer Website viele Informationen eingestellt. Für die Hauswirtschaft bedeutete das, für den erhöhten Bedarf an Schutz- und Arbeitskleidung, sowie für die Hygieneprodukte zu sorgen, der in einer solchen Situation schlagartig immens ist.
Im Seniorenzentrum hatten wir keinen einzigen Fall. Das ist sicher auch dem Umstand zu verdanken, dass wir zum Schutz der Bewohner komplexe Hygiene- und Sicherheitsstandards schnell und konsequent umgesetzt hatten. Der Schutz der betreuten Menschen und der Mitarbeitenden lebt sehr stark durch eine funktionierende Logistik der Hauswirtschaft.
Frage: Welche Lehren ziehen Sie aus der Pandemie?
Gaby Maile: Die offensichtlichste Lehre ergibt sich aus der Maskenproblematik. Fakt war: Wir hatten alle keine Masken! Bis heute handelt es sich um einen Spagat. Zuerst durften Stoffmasken benutzt werden – sie trugen sicherlich bereits zu einem gewissen Schutz bei. Doch als erkannt wurde, dass sich Corona vor allem über Aerosole ausbreitet, wurde die OP-Maske Vorschrift, dann die FFP2-Maske, die den Träger vor den winzigen Viren schützt.
Immer stellte sich die Frage für uns, wieviel Masken sind zu beschaffen? Beim Preis von zehn Euro pro Maske, der am Anfang der Pandemie marktüblich war, ging es um eine absolute Kostenfrage. Unser Mailsystem lief über. Wir wurden bombardiert mit Angeboten. Um sicher zu gehen, recherchierten wir in Apotheken und fanden einen Lieferanten, der uns die entsprechenden Zertifikate aushändigen konnte. Leider traf auch uns der Maskenskandal. Der Bund stellte uns am 2. Weihnachtsfeiertag 2020 30.000 Masken als Spende zur Verfügung. Davon haben wir keine einzige angerührt und bekamen jetzt Mitte Mai Ersatz.
Frage: Und welches persönliche Fazit ziehen Sie – auch wenn wir die Pandemie leider im Moment noch nicht ganz hinter uns lassen können?
Gaby Maile: Die wichtigste Lehre aus der Sondersituation heißt für mich: Ruhe bewahren! Unser Motto war: Wir schützen uns gemeinsam!
Darüber hinaus hat sich gezeigt, wie wichtig ein hoher Hygienestandard ist. Dadurch waren wir auf der Karlshöhe sehr gut vorbereitet – auch wenn keiner Corona vorher kannte. Eine elementare Stelle nehmen dabei die gut durchdachten Handlungsleitlinien ein. Sie benennen die zentralen Punkte der Hygiene: die Reinigung, das Geschirr, die Wäsche! Das hat uns große Sicherheit gebracht.
Wenn ein Bewohner erkrankt war, wurde er nicht nur in einem Zimmer isoliert, sondern die gesamte Versorgung mit Essen, Wäsche und Hygienemaßnahmen unterlag einem strikten Ablaufplan.
Das bedeutete zum Beispiel, dass benutztes Essgeschirr in einer separaten Box zur Aufbereitung abtransportiert wurde.
Frage: Wie haben Sie die Wäscheversorgung in der Karlshöhe organisiert?
Gaby Maile: Die Bewohnerwäsche und die Flachwäsche gehen an einen externen Wäschedienstleister, der sich durch einen hohen Qualitätsstandard auszeichnet. Doch wir waschen auch noch selbst in unserer Einrichtung, zum Beispiel Vorhänge oder Textilien, auch unsere täglich anfallenden Reinigungstücher, da wir einen Großteil unserer Reinigungsaufgabe von eigenen Mitarbeitern erledigen lassen.
Oft wird es vernachlässigt, dass Tücher und Wischmopps hygienisch gewaschen werden müssen. Für sie setzen wir unsere drei professionellen Waschmaschinen ein, die übrigens von Electrolux Professional stammen und denen ich die besten Noten ausstellen kann! Wir setzen die Waschmaschinen täglich ein. Damit haben wir die Sicherheit, dass wir tatsächlich auch hygienisch waschen. Schließlich erfüllt nur eine professionelle Waschmaschine die Hygieneanforderungen – im Gegensatz zu privaten Haushaltswaschmaschinen. Diese Erkenntnis bzw. das Wissen darüber vermitteln wir auch in der Hauswirtschaftsausbildung: Nur eine Profi-Waschmaschine hält die Temperatur lange genug, damit die Keime abgetötet bzw. Viren inaktiviert werden!
Frage: Kommen wir auf die Faktoren zu sprechen, die gerade für alte Menschen wichtig sind, deren Immunkraft zu stärken ist etc.
Gaby Maile: Einen ausgewogenen Speiseplan setze ich voraus. Die Karlshöhe hat sehr gute Fachkräfte in der Zentralküche. Doch das Essen ist das eine – es spielen auch viele anderen Faktoren in der Altenhilfe eine Rolle. Zum Beispiel: Was für eine Veränderung bringt der Einzug in die Altenhilfe, also aus der vertrauten Umgebung ins Heim? Im Heim verliert der Mensch zu einem gewissen Grad seine Selbstständigkeit, die er bisher hatte. Vielleicht konnte er bisher bis 11 Uhr schlafen, was er jetzt nicht mehr kann. Beim Essen gibt es Fragen wie diese: Welche Essgewohnheiten hatte ein Bewohner früher? War die Bewohnerin zuhause gut versorgt? Wie ist heute die Geschmackswahrnehmung, welche Medikamente werden eingenommen und beeinflussen vielleicht den Geschmack? Ist das Essverhalten normal oder liegt Appetitlosigkeit vor. Bekommt eine Bewohnerin oft Besuch oder gar nicht? Alles spielt in das Wohlergehen einer Seniorin oder eines Seniors hinein.
Frage: Auf der Karlshöhe wurde Anfang 2021 der Neubau in der Altenhilfe bezogen. Sechs Wohngruppen zu je 15 Bewohnern auf drei Ebenen. Was ist das Offensichtlichste, das sich im neuen Haus verändert hat und hat sich der Trend zur Wohngruppe prinzipiell durchgesetzt?
Gaby Maile: Es wäre traurig, wenn das nicht der Fall wäre. Wir hatten ja auch schon bisher Wohngruppen, allerdings waren die Einheiten mit 30 Bewohner doppelt so groß. Neu ist: Wir bringen die Hauswirtschaft direkt in die Wohngruppen! Im Gegensatz zu früher, als ein sogenanntes Rolling Büffet aus der Verteilerküche in den Essraum geschoben wurde und aus dem die Mitarbeitenden die Bewohner bedienten, wird heute in der Küche vor den Augen der Bewohner das Essen zusammengestellt. Die hauswirtschaftlichen Kräfte stellen die Komponenten für das Frühstück, Mittagessen oder Abendessen zusammen, es werden die Wurst- oder Käseplatten bestückt, der Früchtequark angerührt und abgefüllt usw. Das heißt, die Essensvorbereitung wird sichtbar gemacht!
Da läuft die Kaffeemaschine und der Kaffeeduft zieht durchs Haus. Die Waffeln werden in der offenen Wohngruppen-Küche gebacken und die Luft ist vom Waffelduft erfüllt. Und wer von den Bewohnern helfen kann oder will, darf ein bisschen mitarbeiten – denn das gehört zum aktivierenden Wohnkonzept. Damit wird Essen zum Gemeinschaftserlebnis und erzeugt Emotionen und Gefühle. Zwischenmahlzeiten wie Erdbeeren oder Kirschen bringen Aroma und Farbe ins Haus und laden ein, sich zu bedienen.
Frage: Warum ist die Rolle der Hauswirtschaft immer wichtiger?
Gaby Maile: Hauswirtschaft war schon immer wichtig. Was uns fehlt, ist die Sichtbarkeit! Viele typische Arbeiten der Hauswirtschaft finden in der Gesellschaft und Wirtschaft vor Dienstanfang oder nach Dienstschluss statt, etwa die Reinigung von Büros und Gebäuden. Die Küche ist im Keller angesiedelt, und auch die Wäscherei ist meist versteckt.
Hauswirtschaft fällt in der Regel nur auf, wenn sie nicht funktioniert. Wenn der Boden oder die Toilette schmutzig ist und das Essen nicht schmeckt.
Auf der Karlshöhe ist die Hauswirtschaft sichtbar. Wir werden wertgeschätzt, der Vorstand und die Geschäfts- und Servicebereichsleitungen stehen hinter uns. Die Hauswirtschaft präsentiert sich – sei es bei Festen, die wir besonders dekorieren mit liebevollen Gedecken und schmackhaften Leckereien. Wenn wir gute Arbeit machen, merken es auch die Bewohner. Wir achten gerade auch bei der Ausbildung darauf, dass die Teller nicht lieblos vollgeschöpft werden, dass keine Sauce über den Rand läuft, Schnittlauch oder Petersilie das Gericht ziert und letztendlich schon das Auge signalisiert: „Das sieht gut aus!“
Und natürlich kommt es auch darauf an, wie die Teams in der Altenhilfe zusammenarbeiten. Die in der Hauswirtschafts-Branche generell immer wieder angeführten Reibungspunkte mit der Pflege oder Pädagogik sind menschengemacht, aber durchaus lösbar. Wer arbeitet, wird manchmal anecken, vielleicht auch einmal Fehler machen. Das Wichtigste ist doch, die Dinge beim Namen zu nennen und sich gemeinsam um ein anerkennendes Miteinander zu bemühen. Denn alle vier Fachlichkeiten sind in allen Bereichen gefragt: gut versorgen, gut pflegen, gut betreuen, gut begleiten!
Die Hauswirtschaft bildet die Basis einer angenehmen Atmosphäre in allen Bereichen der Karlshöhe, aber natürlich wirken auch alle anderen Disziplinen am Gesamtbild und Wohlsein der Bewohner mit! Ich bin mit Leib und Seele Hauswirtschaftliche Betriebsleiterin und liebe meinen innovativen Beruf. Auch wenn immer etwas los ist, kein Tag wie der andere verläuft, immer mal wieder improvisiert werden muss oder es auch mal aus allen Ecken ruft und zerrt. Ich hoffe, dass unsere Auszubildende, die hier eine sehr vielseitige Ausbildung erhalten, diese positive Einstellung mitbekommen und mitnehmen!