Viel hilft nicht immer viel

Immer mehr Bakterien sprechen nicht mehr auf Antibiotika an. Damit wächst die Gefahr, dass Menschen an Infektionen sterben, etwa nach einer Operation. Schuld an den so genannten multiresistenten Keimen sind Patienten, die bei jedem Schnupfen nach einem Antibiotikum verlangen. Und die Massentierhaltung, die mit der chemischen Keule unhaltbare Zuchtbedingungen kaschiert. 

Die Zahl ist alarmierend: Jedes Jahr sterben 15.000 Menschen an so genannten multiresistenten Keimen, das sind Bakterien, die nicht mehr auf die Behandlung mit Antibiotika ansprechen. Vor allem in Krankenhäusern sind die Erreger ein Problem – das vermutlich noch weit größer ist, als die eingangs genannte Zahl glauben macht. Denn sie bezieht sich nur auf Fälle, bei denen bestimmte Erreger im Spiel sind und die deshalb von Kliniken und Arztpraxen gemeldet werden müssen – und das dürfte eher die Minderheit sein. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts in Berlin könnte die Zahl der Todesfälle in Folge einer Infektion mit multiresistenten Keimen dreimal so hoch liegen.

Eigentlich schien die Menschheit die Schlacht gegen Bakterieninfektionen gewonnen zu haben. Seit der Entdeckung des Penicillins gibt es Antibiotika, die Bakterien den Garaus machen, immer wirksamere und verträglichere Medikamente kamen seither auf den Markt. Doch nun schlagen die Erreger zurück. Seit einigen Jahren beobachten Mediziner, dass Keime zunehmend Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln, sie gewöhnen sich gewissermaßen an die chemische Keule.

Handel mit Erbgut

Dazu treiben die Bakterien einen schwunghaften Handel mit Erbgut. Ständig entstehen Mutationen, die meisten sterben, wenn ein Antibiotikum auf sie angesetzt wird. Doch die wenigen, die überleben, vermehren sich und erzeugen weitere, noch resistentere Nachkommen – ein immer schnelleres Wettrüsten, das die Mediziner nicht gewinnen können. Dauerte es in den 1950ern teilweise noch Jahrzehnte, bis auf ein neues Medikament die ersten resistenten Bakterien gefunden wurden, vergehen heute mitunter nicht einmal mehr Monate, bis die ersten Resistenzen im Labor auftauchen.

Zum Glück gibt es auch positive Nachrichten. So nehmen die Resistenzen bei grampositiven Bakterien wie Staphylococcus aureus laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts ab. Bei Staphylokokkus aureus von 20 % auf 12 % bei der letzten Erhebung von 2014, wo das Institut Daten aus Arztpraxen und Kliniken ausgewertet hat. Diese Infektionen sind meldepflichtig, die Gegenmaßnahmen deshalb ausgeklügelt.

Erweiterte Meldepflicht

Keine Meldepflicht gibt es bei den so genannten gramnegativen Erregern, die sich in ihrer Zellmembran von den grampositiven Varianten unterscheiden. Zu ihnen gehören Escherichia coli oder ESBL, eine Gruppe von Bakterien, die Enzyme produzieren, die Antibiotika wirkungslos machen. Sie halten sich meist im Darm auf, wo sie ungefährlich sind. Gelangen sie in offene Wunden – etwa nach Operationen, kann das bei immungeschwächten Patienten lebensbedrohlich sein. Werden Keime festgestellt, die auf kein Medikament ansprechen, werden betroffene Patienten unter Quarantäne gestellt, damit sich die Keime nicht verbreiten, etwa auf Neugeborenen-Stationen, wo gerade Frühchen hoch gefährdet sind.

Solche Resistenzen nehmen dramatisch zu. Zwar gibt es noch Reserveantibiotika, die letzten Bollwerke der Mediziner, doch die wirken schlechter und haben mehr Nebenwirkungen. Und auch gegen sie bilden sich Resistenzen. „Dann wird es wirklich unangenehm“, warnt Tim Eckmanns, Infektions- und Hygieneexperte am Robert-Koch-Institut. Man müsse den Fokus mehr auf die gramnegativen Keime lenken.

Globales Problem

Zudem fordert Eckmanns eine globale Sicht des Problems. Touristen, die Keime aus dem Ausland mitbringen, der weltweite Handel mit Nahrungsmitteln, mit Antibiotika verseuchte Böden – Resistenzen entstehen nicht allein im Patienten, der eine Blasenentzündung auskuriert, sondern sind ein globales Problem, das man nur bewältigen kann, wenn Medizin, Tierzucht und Lebensmittelindustrie an einem Strang ziehen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat dazu einen Zehnpunkteplan aufgestellt, der unter anderem eine bessere Hygiene in Kliniken zum Ziel hat. Auch das Landwirtschaftsministerium zieht mit. Doch die Massentierhaltung bremst, sie kommt nicht ohne die Medikamentenkeule aus, weil sich nur so auf engem Raum Hühner und Schweine halten lassen, ohne dass Infektionen grassieren.

Der Verbraucher entscheidet

Zu einem Umsteuern könnte es kommen, wenn die Konsumenten beim Kauf von Fleisch mehr Wert auf eine antibiotikaarme Tierhaltung legen würden. Die großen Biozertifizierer wie Bioland oder Demeter verpflichten sich, Antibiotika nur in Ausnahmefällen zu verabreichen, wenn ein Tier krank ist, also nicht zur Vorbeugung.

Am Pranger stehen ebenso die Ärzte. Viele verschreiben Antibiotika auch gegen eine simple Erkältung, die durch Viren ausgelöst wird, gegen die das Medikament gar nicht hilft. Die Ärzte wissen das, fühlen sich aber durch ihre Patienten unter Druck gesetzt. Hier hilft nur Aufklärung und die Einsicht der Patienten, dass viel nicht immer viel hilft.

 

Ein interessanter Link:

http://www.zeit.de/thema/multiresistente-erreger